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Berichte Anlässe 2017

5. September 2017 Jüdischer Kulturweg Lengnau-Endingen

Vor der Synagoge in Lengnau erwartete bereits Frau Erika Clarisse die Gruppe. Da die Synagoge noch durch eine andere Gruppe besetzt war, begann die Führung auf dem Dorfplatz, wo bereits die ersten Info-Tafeln des jüdischen Kulturwegs die Besucherinnen über die geschichtlichen Hintergründe des jüdisch-christlichen Zusammenlebens erzählten. Natürlich war die mündliche Überlieferung durch Frau Clarisse viel interessanter und aufschlussreicher. Weniger historisch lang her ist die Einweihung dieses Kulturwegs, wie die Zuhörerinnen erfuhren. Im Jahre 2003 wurde im Beisein von Ruth Dreifuss, Altbundesrätin, dieses Werk eröffnet, um der Bevölkerung ein Stück Vergangenheit nahe zu bringen, damit sie in Zukunft nicht in Vergessenheit geraten wird.

Beeindruckend sind vom Dorfplatz aus schon der Baustil der Häuser sichtbar, auffällig die zwei nebeneinanderliegenden Haustüren. Zwei Haustüren? Nun, den Juden war es verboten, Eigentum zu erwerben, daher mussten sie einen Bau über einen christlichen Mitbürger finanzieren, der vor dem Gesetz der Bauherr und der Eigentümer dieses Bauwerks war. Da die Christen nicht durch die selbe Haustür ins Haus gehen wollten wie die Juden, wurden kurzerhand zwei Haustüren eingebaut, unabhängig voneinander.

Interessant ist auch die Geschichte der Namensgebung der jüdischen Bevölkerung. Entsprechend der Eigenschaften und des Reichtums des jeweiligen Bürgers wurde ihm ein Nachname zugeteilt. In Lengnau steht ein Haus, das früher als Wirtschaft von einer Familie Langsam betrieben wurde. Dass nicht alle jüdischen Bürger zufrieden waren mit ihren Nachnamen ist nachvollziehbar und einige Anfragen zur Namensänderung wurden auch umgesetzt.

Weiter gings zur Mikwa, der Badestube der jüdischen Bevölkerung. Das Gebäude wurde saniert und mit einer Glastür für die Öffentlichkeit sichtbar gemacht. Für das jüdische Volk war die Reinheit des Körpers von grosser Wichtigkeit und verhinderte schon im Mittelalter das Erkranken an Seuchen. Von hier aus konnte man die drei Fahnen und ein Teil des Gebäudes des Margoa-Altersheims erkennen. Margoa ist herbräisch und steht für «Entspannung, Erholung». Das Altersheim konnte dank einer grosszügigen Spende einer ausgewanderten, jüdischen Familie gebaut werden und bot in früheren Jahren nur der alternden, jüdischen Bevölkerung ein Dach über dem Kopf. Heute ist der Anteil der jüdischen Bewohner in der Minderzahl.

In unmittelbarer Nähe befindet sich ein altes Schulgebäude, das saniert wurde und nun die Gemeindekanzlei beherbergt. Hier gingen die jüdischen Kinder zur Schule, bis sie in die öffentliche Schule integriert werden durften. Speziell: in den 70er Jahren fand hier der Religionsunterricht der katholischen Kinder statt!

Anschliessend und mit Wohlgefallen zogen die Frauen in die Synagoge ein, brannte doch die Septembersonne sehr warm an diesem Nachmittag. Mit Staunen blickten sie sich in diesem hellen Raum um, einer christlichen Kirche nicht sehr unähnlich. Die schönen Ornamente und Verzierungen an der Decke und teilweise an den Seitenwänden erinnern ein wenig an den maurischen Stil. Erika Clarisse erläutert dann auch, dass dies sehr wohl einen Zusammenhang hat. Lebten doch im Mittelalter die Muslimen, Christen und Juden friedlich nebeneinander im südlichen Teil Spaniens. Die Synagoge in Lengnau wird nicht mehr für Gottesdienste genutzt und nur für Führungen zugänglich gemacht. Ein Rabbi besucht die jüdischen Bewohner im Altersheim. Dort sind auch die Schriften, Tora genannt, hinterlegt. Die Synagoge ist ostwärts gerichtet, mit Blick nach Jerusalem.

Frau Clarisse erzählte mit viel Humor, aber auch mit entwaffnender Ehrlichkeit über das Leben der Juden in diesem Dorf. Die Bevölkerung musste sich durch Handel ihren Lebensunterhalt verdienen, war ihnen doch jegliches Handwerk verboten. Die Schulbildung war für die Juden ein sehr wichtiger Bestandteil, eine Handwerkerlehre blieb ihnen ja verwehrt. Witzig ist auch der Hinweis auf das Surbtaler Jiddisch. Ein paar Müsterchen boten den Zuhörern einiges an Aha-Erlebnisse, werden doch selber einige Wörter benutzt ohne zu wissen, dass sie jüdischer Herkunft sind. Aus einem gelesenen Text hörte man sogar eine badisch-schwäbische Tendenz. Spannend ist auch, dass die christliche Bevölkerung im 19. und anfangs 20. Jahrhundert das Jiddisch sprechen und verstehen konnte. Der Anteil der jüdischen Bevölkerung betrug dazumal ein Drittel der Gesamtbevölkerung Lengnaus, in Endingen war es sogar die Hälfte.

Das Highlight des Kulturwegs ist der Besuch des Friedhofs zwischen Lengnau und Endingen! Nicht dass die Gräber ein besonderes Gefühl durch Schönheit und Pracht hervorriefen …. Nein, es war die Schlichtheit, die beeindruckte. Die Bäume wuchsen wie sie durften, das Gras wucherte mit unterschiedlichen Pflanzen und Büschen überall und die ähnlich aufgebauten Grabsteine waren einfach aus hiesigem Stein. Eigentlich müssten die Grabsteine gen Osten gerichtet sein, aber alle stehen stirnseitig in Richtung Süden. Eine Erklärung dazu: Gen Süden kommt irgendwann das Meer und somit ist Jerusalem nicht weit.

Es herrschte …. abgesehen vom Motorenlärm der Surbtalstrasse …. ein Frieden auf diesem Fleckchen «Letzte Ruhe». Leider sind die Frauen der hebräischen Sprache nicht mächtig, daher blieben die alten Grabsteine unbelesen und anonym. Die modernen Grabsteine aus der Neuzeit, sprich 21. Jahrhundert, hoben sich vom Material des Steins ein wenig ab. Da konnte man doch die Namen sowie das Geburts- und Sterbejahr erkennen. Die Verstorbenen hatten zum Teil weite Wege noch auf sich nehmen müssen, um hier die letzte Ruhe zu finden. Hier wird die Welt zu einer kleinen Gemeinde. Ein wunderbarer Gedanke!

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Patricia Dal Monte

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